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ADHS bei erwachsenen Frauen und Männern: Unterschiede und Gemeinsamkeiten

  • Irene Tutzer
  • 9. Okt.
  • 3 Min. Lesezeit

ADHS im Erwachsenenalter äußert sich weniger durch offensichtliche Hyperaktivität, sondern eher durch innere Unruhe, Konzentrationsprobleme und emotionale Schwierigkeiten. Die Symptome können stark variieren, hängen aber häufig mit Defiziten in Aufmerksamkeit, Selbststeuerung und Impulskontrolle zusammen.

Etwa 2–4 % der Erwachsenen sind betroffen – häufig, ohne es zu wissen.


Besonders interessant ist, dass sich die Symptome von ADHS bei Männern und Frauen unterschiedlich äußern. Diese Unterschiede führen oft zu Fehldiagnosen oder einer späten Erkennung.


ADHS bei Männern im Erwachsenenalter: häufige Symptome und Verhaltensmuster

Erwachsene Männer mit ADHS zeigen häufiger äußere, sichtbare Symptome, die sich in Aktivität, Reizbarkeit und Impulsivität ausdrücken. Viele Betroffene erleben ihre Symptome als „Antrieb, der nicht gebremst werden kann“, "entweder ich bin voll da oder ich schlafe - dazwischen gibt es nicht viel".


Typische ADHS-Symptome bei Männern:

Aufmerksamkeit und Organisation

  • Schwierigkeiten, Aufgaben auf Dauer konzentriert zu Ende zu bringen

  • Leichte Ablenkbarkeit, besonders bei Routinearbeiten

  • Vergesslichkeit, Unordnung im Alltag, eher chaotisches Arbeitsumfeld

  • Schwierigkeiten mit langfristiger Planung und Priorisierung

Impulsivität

  • Spontane Entscheidungen ohne Abwägung der Konsequenzen

  • Ungeduld in Gesprächen, häufiges Unterbrechen anderer

  • Tendenz zu riskantem bzw. unüberlegtem Verhalten (z. B. impulsive Käufe, riskantes Autofahren, berufliche Schnellschüsse)

  • Schwierigkeiten, Ärger oder Frustration zu kontrollieren

Hyperaktivität / innere Unruhe

  • offener Bewegungsdrang lässt nach, Bedürnis nach Aktivität bleibt

  • Gefühl von innerer Rastlosigkeit, auch ohne körperliche Aktivität

  • Übermäßige Beschäftigung mit vielen Projekten gleichzeitig

  • häufig intensive Nutzung von sozialen Medien/Internet/Games

Emotionale und soziale Aspekte

  • Neigung zu Wutausbrüchen oder Stimmungsschwankungen

  • Schwierigkeiten mit Kritik und Autorität

  • Häufige Konflikte im Beruf (im Team, mit Führungskräften oder starren Strukturen) oder in Partnerschaften

  • geringe Frustrationstoleranz

  • hoher Leidensdruck ("ich weiß dass ich viel mehr könnte. Ich stehe mir irgendwie selber im Weg")

Typische Komorbiditäten

  • Erhöhtes Risiko für Substanzmissbrauch (Alkohol, Cannabis, Stimulanzien)

  • Impulskontrollstörungen

  • Antisoziale oder oppositionelle Verhaltensmuster


ADHS bei Frauen im Erwachsenenalter: ein oft verborgenes Erscheinungsbild

Bei Frauen manifestiert sich ADHS deutlich subtiler. Statt äußerer Unruhe dominieren Unaufmerksamkeit, emotionale Überforderung und Selbstzweifel. Viele Frauen mit ADHS versuchen, ihre Symptome zu kompensieren – durch Perfektionismus, Überanpassung oder übermäßige Kontrolle. Das kann über Jahre funktionieren, führt aber langfristig häufig zu Erschöpfungszuständen.


Typische ADHS-Symptome bei Frauen:

Aufmerksamkeit und Organisation

  • Häufiges Abschweifen in Gedanken, Tagträumen oder „Gedankenchaos“

  • Schwierigkeiten, sich zu strukturieren, Termine einzuhalten oder Aufgaben zu priorisieren

  • Unordnung im Haushalt oder Arbeitsplatz trotz Anstrengung, Ordnung zu schaffen bzw. zu halten

  • Häufiges Verlieren von Gegenständen oder Vergessen von Verpflichtungen

Emotionale Symptome

  • Ausgeprägte emotionale Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen, Tränen­ausbrüche

  • Gefühl ständiger Überforderung („alles ist zu viel“)

  • Chronische Selbstzweifel, geringes Selbstwertgefühl

  • Starke Selbstkritik nach kleinen Fehlern

  • Empfindlichkeit gegenüber Ablehnung oder Kritik (Rejection Sensitivity)

  • hohe innere Anspannung

Soziale und zwischenmenschliche Aspekte

  • Übermäßiges Bedürfnis nach Harmonie, Tendenz zum „People Pleasing“

  • Angst, anderen zur Last zu fallen

  • Schwierigkeiten, Grenzen zu setzen

  • Soziale Erschöpfung nach Kontakten oder Gruppensituationen

Kognitive und alltägliche Schwierigkeiten

  • Multitasking-Probleme, besonders bei hoher Belastung

  • Häufiges Aufschieben (Prokrastination) trotz innerem Druck

  • Schwankende Leistungsfähigkeit: Phasen hoher Produktivität gefolgt von „Abstürzen“

  • Gefühl, nie „genug zu leisten“, trotz großer Anstrengung

Typische Komorbiditäten

  • Depressionen

  • Angststörungen

  • Essstörungen (insbesondere Binge-Eating oder emotionale Essmuster)

  • Chronische Erschöpfung oder psychosomatische Beschwerden


Warum ADHS bei Frauen oft unerkannt bleibt

Frauen mit ADHS fallen in der Kindheit und Jugend seltener durch störendes Verhalten auf. Ihr ADHS zeigt sich eher durch Zurückgezogenheit, Träumerei oder emotionale Instabilität. Da diese Merkmale oft als „typisch weiblich“ interpretiert werden, bleibt ADHS häufig unerkannt – manchmal bis ins mittlere Erwachsenenalter.

Erst wenn beruflicher oder familiärer Stress zunimmt, werden die Symptome deutlich und führen zur Diagnostik. Nicht selten wird ADHS erst nach mehrfachen Fehldiagnosen (z. B. Depression, Angststörung, Burnout) erkannt.


Behandlung und Therapieansätze bei ADHS im Erwachsenenalter

Die wirksamste Therapie besteht in einer Kombination aus:

  • Psychoedukation: Verständnis der eigenen ADHS-Struktur und Funktionsweise

  • Kognitiver Verhaltenstherapie (KVT): Verbesserung von Selbststeuerung, Struktur und Emotionsregulation

  • Medikamentöser Therapie: Einsatz von Stimulanzien oder Alternativen nach ärztlicher Abklärung

  • Coaching & Alltagstraining: Strategien für Organisation, Priorisierung und Zeitmanagement

Männer profitieren oft von Arbeit an Impulskontrolle, Stressabbau und beruflicher Struktur. Frauen profitieren von der Förderung emotionaler Selbstfürsorge, Selbstwertaufbau und Stressreduktion.


ADHS im Erwachsenenalter ist eine komplexe, oft übersehene Störung. Männer und Frauen erleben die gleichen Kernsymptome – aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten.

Eine geschlechtssensible Diagnostik und Behandlung ist entscheidend, um Betroffene individuell zu unterstützen und ihre Lebensqualität nachhaltig zu verbessern.

Wenn Sie vermuten, an ADHS im Erwachsenenalter zu leiden, kann eine professionelle ADHS-Diagnostik bei einem klinischen Psychologen helfen, Klarheit zu schaffen und den passenden Behandlungsweg zu finden.


Wenn Sie dazu noch Fragen haben, melden Sie sich gerne.

Mag. Irene Tutzer


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