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  • Irene Tutzer

Kinder mit einem psychisch erkrankten Elternteil - was sind die Schwierigkeiten - was kann helfen?

Eine psychische Erkrankung ist für alle eine große Herausforderung - für den Betroffenen selbst, für sein Umfeld und ganz besonders für seine/ihre Familienangehörigen.

Kinder und Jugendliche mit einem psychisch erkrankten Elternteil - unabhängig davon ob es sich um eine Depression, Persönlichkeitsstörung, Zwangserkrankung oder vielleicht eine Suchterkrankung handelt - haben mit vielen Schwierigkeiten umzugehen:

Desorientierung. Kinder bekommen häufig keine kindgerechten Informationen über die Erkrankung und was diese bedeutet und können so das Verhalten des Elternteils nicht richtig einschätzen. Und das macht vielen Kindern Angst. Viele Eltern haben Sorge, ihre Kinder mit dem Thema psychische Erkrankung zu überfordern und wissen nicht, wie sie den Kindern zum Beispiel eine Psychose erklären sollen. Diese Sorge ist absolut verständlich. Inzwischen gibt es aber schon eine immer größere Anzahl an Kinderbüchern, die die verschiedenen psychischen Störungen gut und vor allem kindgerecht erklären. (Wenn sie dazu eine Buchempfehlung oder detaillierere Informationen brauchen, bitte kontaktieren Sie mich gerne).

Schuldgefühle. Je nach Entwicklungsstand und Alter des Kindes neigen Kinder dazu, das elterliche Verhalten als Reaktion auf sich selbst bzw. auf das eigene kindliche Verhalten zu sehen. Schon öfters habe ich von Kindern gehört, dass die depressive Mutter wohl nur deshalb immer so traurig aussehe, weil es (das Kind) immer so anstrengend und so laut sei. Vor allem auch um solchen Schuldgefühlen vorzubeugen, ist eine altersgerechte Information des Kindes über die psychische Erkrankung so wichtig.

Tabuisierung - "darüber" sprechen wir nicht. In vielen Familien wird über das Thema nicht gesprochen, weder innerhalb der Familie noch bzw. ganz besonders nicht nach außen. Damit einher geht eine immer größere soziale Isolierung. Die Familie zieht sich immer mehr zurück, Freunde (auch der Kinder) werden nicht mehr nach Hause eingeladen; häufig auch aus einem Schamgefühl heraus und aus der Angst vor vielleicht peinlichen Situationen.

Je nach Krankheitsverlauf muss die Familie teilweise auch mit Lücken in der Betreuung der Kinder umgehen, z.B. wenn ein Elternteil wegen eines stationären Krankenhausaufenthaltes für mehrere Wochen ausfällt oder wenn die momentane Krankheitsphase (z.B. bei einem Rückfall einer/s Suchtkranken) es der Mutter oder dem Vater nicht ermöglicht, sich im Alltag adäquat um das Kind zu kümmern. In solchen schwierigen Krankheitsphasen vertauschen sich manchmal die Rollen und das Kind übernimmt Aufgaben im Haushalt oder kümmert sich um den psychisch erkrankten Elternteil (Parentifizierung).

Weitere Themen, die bei Kindern mit einem psychisch erkrankten Elternteil in unterschiedlicher Ausprägung vorkommen sind Abwertungserlebnisse (Gleichaltrige, Außenstehende, Verwandte sprechen abwertend über die Familie oder den erkrankten Elternteil), Loyalitätskonflikte und der Umgang mit schwierigen bzw. peinlichen Situationen (z.B. Elternteil, der an einem Verfolgungswahn leidet und sich hinter den parkenden Autos versteckt). Hinzu kommen die Ängste der Kinder und vor allem der Jugendlichen: wird diese Krankheit noch schlimmer? Wird mein Vater/meine Mutter nie wieder gesund? Ist diese Krankheit vielleicht vererbbar - bekomme ich das später auch?

 

Was hilft - wie kann man die Kinder und Jugendlichen unterstützen?


In der Fachliteratur sprechen wir von sogenannten "Schutzfaktoren", welche die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) der Kinder stärken und es ihnen so ermöglicht, mit diesen schwierigen familiären Rahmenbedingungen so gut wie möglich umzugehen.

Persönliche Schutzfaktoren des Kindes: dazu gehören u.a. das Selbstvertrauen des Kindes in sich selbst und in seine Fähigkeiten und Stärken; die Erfahrung, daß in der Familie Probleme ausgesprochen werden können und dass man gemeinsam nach Lösungen sucht, altersgerechte und klare Informationen über die Krankheit und dessen Auswirkungen auf die Familie und ein positives Selbstwertgefühl.

Schutzfaktoren in der Familie sind eine gute und stabile Beziehung zu mindestens einem Elternteil und ein grundsätzlich positives Familienklima (z.B. gemeinsame Unternehmungen, gemeinsame Mahlzeiten und Rituale). Zusätzliche soziale Schutzfaktoren sind altersgerechte Freundschaften, Mitgliedschaften in Sportvereinen, positive Erfahrungen in der Schule, regelmäßige Freizeitaktivitäten und eine zuverlässige Beziehung zu mindestens einem Erwachsenen außerhalb der Familie (der über die psychische Erkrankung informiert ist).

 

Was können Sie als Familie bzw. "betroffener" Elternteil noch für Ihr Kind tun?


Vermitteln Sie ihrem Kind Sicherheit und machen Sie gemeinsam einen Notfallplan (wenn das Kind/Jugendliche alleine mit dem erkrankten Elternteil ist und etwas passieren sollte oder das Verhalten des Elternteils dem Kind/Jugendlichen Angst macht: wen kann das Kind anrufen, zu wem kann es gehen bzw. wer holt das Kind ab. Wer kümmert sich um den erkrankten Elternteil, wer kümmert sich um das Kind, was passiert dann).

Psychische Erkrankungen verlaufen meistens in Schüben oder Phasen: Nutzen Sie die "guten Phasen" bewusst für gemeinsame Familienaktivitäten und schaffen sie viele positive Erinnerungen an gemeinsam verbrachte Zeiten.

Ermöglichen und erlauben Sie ihrem Kind (wenn es das möchte) mit einem Außenstehenden ihres Vertrauens über die psychische Erkrankung in der Familie zu sprechen oder sich mit anderen Kindern bzw. Jugendlichen mit ähnlichen Erfahrungen auszutauschen.

 

Auszug Fachliteratur bzw. empfehlenswerte Bücher zum Thema:


  • Lenz. A. (2014, 2. überarbeitete Auflage). "Kinder psychisch kranke Eltern". Hogrefe-Verlag.

  • Wiegand-Grefe S., Halverscheid S., Plass A. (2011). "Kinder und ihre psychisch kranken Eltern. Familienorientierte Prävention - der CHIMPs-Beratungsansatz". Hogrefe-Verlag.

 

Interessante Links:


Projekt "Village" - Tirol. Aktuell laufendes Forschungsprojekt der Ludwig Boltzmann Gesellschaft und der Medizinischen Universität Innsbruck zum Thema

Netz und Boden - Deutschland. Initiative für Kinder psychisch kranker Eltern. Viele Informationen und Liste von Kinderbüchern

Verrückte Kindheit - Wien. Online-Portal für Jugendliche, Online-Beratung (auch anonym)




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